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                                        Peter Hübner‘s Märchenstunde                      Seite 1 2 3
 
BLINDE MACHT
PETER HÜBNER erzählt
Die Geschichte der beiden Jowane
Aus: Peter Hübner
„Die Insel des Glücks“
– Der uralte Sternenweg unserer Ahnen

 

„So möchte ich euch jetzt eine kleine Begebenheit erzählen, fuhr die Eule fort, „um euch eine von der Welt der Weisheit losgelöste Ausübung übernatürlicher Fähigkeiten zu verdeutlichen und um damit auch aufzuzeigen, wie absurd und unbefriedigend alle noch so große Macht ist – wenn sie nicht andauernd von den starken Quellen der Weisheit getragen wird, wenn sie sich nicht auf den inneren sittlichen Fortschritt des einzelnen richtet und wenn sie den Menschen nicht schließlich zur Weisheit und damit zu wirklicher Freiheit führt.

So sprach die mächtige Eule vom Ast der großen Eiche zu den Versammelten, und dann erzählte sie folgende wahre Begebenheit
:

In Mitgard lebte einst ein mächtiger Jowan, ein Ringer. Aus zwei- tausend Zentnern Weizenmehl bestand seine tägliche Nahrung, und er genoß sie gemischt mit tausend Zentnern eines dicken Breies.
Für die Tiere des Landes war es ein großes Glück, daß er ein strenger Vegetarier war.

Einmal vernahm er von einem anderen Jowan, welcher in einem anderen Lande leben sollte und der mächtiger sein sollte als er.
Das verletzte seinen Stolz, und er entschloß sich, unverzüglich aufzubrechen und den anderen herauszufordern.

So begab er sich auf den Markt und kaufte viertausend Zentner Weizenmehl als seine Ration für zwei Tage.
Diese Last setzte er sich in einem Bündel auf den Kopf und machte sich auf den Weg.

Drei Stunden Weges brachten ihn an das Ufer eines Sees, der an der Grenze seines Landes lag. Er war sehr hungrig und durstig geworden.
Deshalb kniete er am Ufer des Sees nieder, beugte den Kopf zum Wasser und schlürfte in einem Zuge beinahe den halben See leer.

Dann schüttete er einen Teil seines Weizenmehls in den See, nahm eine dicke Eiche zum Umrühren und aß so die zubereitete dicke Suppe.
Da er sich jetzt einigermaßen gesättigt fühlte, schlief er sofort ein.

Nun pflegte ein Elefant täglich an den See zu kommen, um daraus zu trinken.
Er kam wie gewöhnlich, aber zu seiner Überraschung war der See leer und trocken! Gerade wollte er sich voller Unwillen wieder fortbegeben, als er den schlafenden Jowan erblickte.

Er wußte sogleich, daß dieser Jowan das Wasser getrunken hatte. Voll Wut griff er ihn an und trampelte ihm auf dem Kopf herum.
Aber der Ringer drehte sich nur auf die andere Seite und sagte: „Nicht so zaghaft! Mit so sanften Streichen wird mein Kopf-schmerz nicht besser werden. Mehr Kraft mußt du dransetzen, lieber Freund!“
Der Elefant hielt inne und wußte nicht, was er tun sollte.
Doch da erhob sich der Jowan, um seine Reise fortzusetzen. Er sah den Elefanten an, ergriff ihn am Rüssel und schwang ihn sich über die Schulter. Dann zog er weiter.

Noch wenige Schritte, und er hatte das Haus seines Rivalen er-reicht. „Komm heraus, o Jowan dieses Landes!“ rief er. „Komm her und versuch es, mich zu Fall zu bringen!“ „Er ist nicht zu Hause“ , erwiderte die Frau des anderen Jowans, die hinter der Mauer im Hofe stand. „Er ist im Walde, um frisches Brennholz
zu beschaffen.“
„Nun gut, ich werde noch einmal vorbeikommen“ , sagte der Ringer. „Aber nimm inzwischen ein kleines Geschenk, das ich für ihn mitgebracht habe.“ Und mit diesen Worten schleuderte er den Elefanten über die Mauer auf den Hof.

„Mutter, Mutter, sieh doch, dieser Rivale deines Sohnes hat eine Maus in unser Haus geworfen!“ rief da die Frau.
„Was schadet das, mein Kind?“ antwortete ihr die Schwieger-mutter, „wirf sie wieder hinaus!“
Und erneut wurde der Elefant über die Mauer geworfen und fiel dem Ringer vor die Füße. Der hob ihn auf und ging davon.
„Nicht schlecht“ , dachte er. „Wenn die Frau des Rivalen einen Elefanten wie eine Maus ansieht, wie mag mich der Jowan selbst einschätzen?“
Er war noch nicht weit gegangen, da sah er seinen Rivalen daher- kommen. Dieser trug einen ganzen Mischwald auf dem Kopf.
„Das ist wirklich ein würdiger Gegner“ , dachte er bei sich.
Und er wandte sich an den Rivalen mit den Worten: „Ich habe
von deinem Ruf vernommen und bin aus meinem Lande hierher-gekommen, um mit dir zu kämpfen. Wollen wir eine Runde austragen?“
„Aber gewiß“ , erwiderte der andere. „Nur, komm mit in die Stadt, denn hier ist niemand, der den Schiedsrichter machen kann.“ – „Aber ich bin in Eile, wieder nach Hause zu kommen“, erwiderte der erste. „Laß uns also hier und sofort kämpfen.
Was einen Richter anbetrifft: sieh, da trottet gerade eine alte Frau vorüber. Ich werde sie bitten, zuzuschauen und den Kampf
zu beurteilen.“


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Aus: Peter Hübner „Die Insel des Glücks“ – Dre uralte Sternenweg unserer Ahnen –  erscheint nach und nach im Internet

 
Veröffentlichung mit freundlicher Genhemigung von AAR EDITION
© DER HESSISCHE LANDBOTE 2001
 

 

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