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  Peter Hübner‘s Märchenstunde – Das Fliegende Schiff                                                Seite 2      
 
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So stand Hans oft versonnen im Lager und betrachtete voll freudiger Aufmerksamkeit die vielen, goldenen Körner. Dabei lernte er ganz allmählich und ohne besonderes Bemühen, deren Gesichter zu erkennen und zu lesen; denn neben der Rassenzugehörigkeit, welche sich in der allgemeinen Farbgebung sowie in Form und Größe äußerte, hatte jedes einzelne Korn noch sein ganz eigenes Gesicht.

Manchmal erkannte Hans ganze Familien, die zusammen angereist waren und sich nun der frischen, lauen Luft erfreuten, welche das Lager ununterbrochen durchströmte.

Eines fiel dem Jüngsten besonders auf: daß alle Gesichter ihm immerfort glücklich zulächelten, so als wüßten sie gar nicht, daß sie gemahlen werden sollten.
Oder wußten sie vielleicht, daß dieses Mahlen sie in ihrem seligen Wesen gar nicht berühren konnte?

Mit dieser Frage beschäftigte sich Hans unentwegt; er versuchte herauszubekommen, was hinter dem Wesen dieser goldenen Körner steckte, die ja entweder mit großem Heldenmut in den Tod gingen oder aber ihrem Wesen nach unsterblich waren und dies auch wußten.

Das unergründliche Lächeln ihrer Gesichter bezeugte ihm auf jeden Fall bei den Körnern eine eigene Losgelöstheit von dieser seiner brennenden Fragestellung.

Die Körner wußten mehr als er, aber sie verrieten ihm nur soviel, daß sie sich entweder mit Freude in ein ungewisses Schicksal hineinbegäben oder aber, daß sie über diesem Schicksal stünden.

Selbst wenn er manchmal in der Mühle stand und sah, wie die Körner zermahlen wurden, da war es ihm eigentlich gar kein Zerstören oder Zerkleinern; es kam ihm vielmehr so vor, als würde das Innere, das Gemüt, welches ja sicherlich hinter jedem Gesicht steckte, nur nach außen gekehrt und jetzt offenbar – während gleichzeitig das Gesicht hinter dem Gemüt zurücktrat.

Und wenn dann in solchen Momenten der inneren Betrachtung einmal sein geliebter Vater hinzutrat, den Sohn aufmerksam ansah und dann wachen, verständigen Blickes zum Mehl hinblickte und kritisch dessen Feinheitsgrad prüfte, dann erschien es Hans, als hätte der Vater schon immer die gleichen Gedanken gehabt wie auch er; und an dem leuchtenden, still lächelnden Gesicht des gütigen Vaters erkannte er, daß dieser sich selbst all die drängenden Fragen bereits beantwortet hatte – auch wenn er nie darüber sprach oder über dieses Wissen irgendeine Andeutung gemacht hätte.

Doch nun rief der Müller seine drei Söhne zu sich. Er erzählte ihnen von der gestellten Aufgabe des Zaren und von dem Lohn, welcher demjenigen winkte, der diese Aufgabe erfüllte.

Er sagte: „Ich will gerne alles aufwenden, was ich habe, wenn es zu eurem Glück dient. Versucht‘s also, ob einer von euch ein solches Schiff zuwege bringt!“

Die Söhne waren wohl alle sogleich dazu bereit. Aber Heinrich, der Älteste, äußerte Bedenken; er fragte, wer denn die Mühle weiterführen solle, wenn er Zar wäre und die Regierungsgeschäfte seine volle Zeit in Anspruch nähmen.

Er habe sich nun mit viel Mühe und Fleiß all das gute Wissen vom Vater aneignen dürfen; und außerdem liebe er seine Arbeit zu sehr, als daß er sie aufgeben wolle. Außerdem zwinge ihn die Verantwortung dazu, nach alter, hergebrachter Tradition die Mühle in der gleichen Weise weiterzuführen, wie dies schon unzählige Generationen vor ihnen getan hätten.

 
     
                                         
           
                                                                                                                    
           
  Veröffentlichung mit freundlicher Genhemigung von AAR EDITION
© DER HESSISCHE LANDBOTE 2001
       

 

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