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  Die klassische Spiegel-Affäre  
       
  PETER HÜBNER: Ja, das ist wahr, die alle meine ich. Ich möchte ein Beispiel benutzen, um dies einfacher zu erklären:
Wir alle müssen regelmäßig Wasser trinken. Insofern ist es wichtig, jenes Wasser, welches wir zum Trinken benötigen, auch im Bedarfsfalle zur Verfügung zu haben. Idealerweise würde der Einzelne von uns an einer Wasserquelle wohnen und arbeiten, denn dann hätte er das kostbare Naß auch immer zur Verfügung, und er brauchte sich um Wasser keine Sorgen zu machen: er brauchte keine Flaschen-Abfüllanlagen und keine Wasser­leitungen und:
er hätte immer ganz frisches Wasser – also kein altes, abgestandenes oder gar faules Wasser.

CLASSIC-LIFE: Das ist einsichtig. Aber was hat das mit dem Kompo­nieren zu tun?

PETER HÜBNER: Sehr viel. Mit dem Ton-Schöpfen verhält es sich nämlich ganz entsprechend: Auch der Klassische Komponist wohnt – was das Tonschöpfen angeht –, an der Quelle, aus welcher die Musik hervor­quillt.

Diese Quelle der Musik befindet sich in seinem Inneren – sagen wir einmal der Einfachheit halber: in seiner Seele. Aus dieser quillt die Musik hervor, wie aus einer unerschöpflichen Quelle und ergießt sich in seinen Geist – wie in ein Gefäß –, wo der Tonschöpfer sie dann mit seinem inneren Gehörsinn hört: gleichsam „trinkt“. Er selbst hat also willentlich mit der Quelle: dem Musikschaffen nichts zu tun – jedenfalls nicht in der Weise, wie sich dies der lehrende Hochschulprofessor und sein Student so vorstellen.

Der Klassische Ton-Schöpfer schafft also die Musik nicht, und er empfindet sich deshalb auch erst einmal nicht als „schaffend“, sondern als „hörend“. Von außen denken der Kompositionsprofessor und dessen Student, der Klassische Tonschöpfer hätte das Musikwerk selber „geschaffen“, weil er es ja aufgeschrieben hat.

Und sie selber gehen ja auch so mit dem Handwerk des Komponierens um: sie überlegen sich, was sie komponieren wollen – ein kleineres Instrumentalwerk oder ein Orchesterwerk – mit oder ohne Solisten und Chor usw. usw., und sie meinen allen Ernstes, das wäre das Handwerk des Komponierens. Wenn der Klassische Tonschöpfer so komponieren würde, dann würde er auf die gleichen Schwierigkeiten stoßen wie der Kompo­sitionsprofessor und dessen Student – dann würde er auch nichts von allgemeinem Wert zustandebringen.
Aber er geht überhaupt erst gar nicht in solcher Weise willentlich ans Komponieren: er überlegt sich erst gar nicht: was für ein Musikwerk will ich schaffen? Er kommt auch erst gar nicht zu solch einer Überlegung, denn ihm wird das Musikwerk schon vorher fertig offenbart. Und selbst wenn es im Laufe der Zeit in seinem musikalischen Vorstellungsraum wächst und sich allmählich zu einem Musik-Gesamtwerk entwickelt, läßt er dieser Entwicklung der Musik­schöpfung freien Lauf. Denn er weiß aus eigener Erfahrung, daß jeder eigene bewußte willentliche Eingriff die Qualität des Werkes nur mindern würde.

CLASSIC-LIFE: Er pfuscht der musikalischen „Offenbarung“ also nicht ins Handwerk.

PETER HÜBNER: Genau so ist es. Er bemüht sich also nur darum, das Musikwerk, welches ihm in seinem Geiste vollständig offenbart wird, so niederzuschreiben, daß die Musiker „ihren“ Hörern den ihm innewohnen­den Sinn mit ihrem Instrumentarium – wie in einer speziellen Sprache – näher bringen können.
   
      
     
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Veröffentlichung mit freundlicher Genhemigung von AAR EDITION INTERNATIONAL
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